Mit dem Frühjahr und Sommer beginnt auch wieder der Weidegang für unsere Pferde. Endlich können sie ihren natürlichen Bewegungsdrang ausleben und in Herdenverbänden gemeinsam auf satten Weiden grasen. So wie sie es auch in der freien Natur gewohnt waren. Je größer die Pferdekoppel dabei ist und je länger sich die Pferde hier frei bewegen dürfen, desto glücklicher müssen unsere Pferde wohl sein.


Weidegang statt Boxenhaltung

Wie froh sind wir darüber, dass die Boxenhaltung immer mehr einer möglichst naturnahen Pferdehaltung weicht. Automatische Fütterungsanlagen und zeitgesteuerte Tore, die den Weidegang für Pferde kontrollieren, werden zwar immer häufiger – aber in den meisten Reitställen hält man es ja bereits für eine Errungenschaft, wenn man über weitläufige Weiden verfügt, die eine ständige Futteraufnahme ermöglichen. Je weniger unsere Pferde in Ausläufen oder Boxen stehen und je mehr Weidegang die Pferde haben, desto weniger Arbeit hat der Stallbetreiber selbst. Viele halten die Pferde auch in kleineren Stallgemeinschaften und auch hier reduziert sich der Aufwand mit dem Weidegang erheblich. Es ist ja auch sehr komfortabel, wenn man nur noch 3- bis 5-mal die Woche zu seinem Pferd muss, weil es ja durch diese Form der Haltung ein Maximum an Bewegung erfährt.

Nun wer träumt eigentlich nicht davon. Genau das hatten unsere Pferde vor vielen tausend Jahren ja auch schon. In einem unserer früheren Fachartikel gehen wir auf die  Vor- und Nachteile der heutigen Pferdeweiden ein: Die Pferdeweide – garantiert giftig?

Wie viel Gras frisst ein Pferd pro Stunde?

Bereits hier haben wir erwähnt, dass die Art und Qualität der heutigen Pferdeweiden nichts mehr mit den natürlichen Lebens- bzw. Futtergrundlagen unserer Wildpferde zu tun haben.

Als Dauerfresser nehmen Pferde in der Regel ständig Nahrung auf. In vielen Beobachtungen zeigten sich tägliche Futteraufnahmezeiten von 12 bis 16 Stunden. Heute weiß man auch, wieviel Weidegras bei Weidegang im Durchschnitt pro Stunde aufgenommen wird. Diese Zahlen hängen sehr stark von der Graslänge aber auch von der Pferderasse ab.

Weidegang Pferd

Ein Pony (wir nennen es Fritzchen) von ca. 1,25 m Stockmaß frisst während einer Stunde Weidegang in etwa 2,5 kg frisches Weidegras. Je länger es sich auf dieser Pferdeweide aufhält, desto weniger Gras nimmt es je Stunde auf. Steht das Pony z. B. für 6 Stunden auf der Weide, sinkt der stündliche Wert bereits auf 1,5 kg Gras und bei 24 Stunden werden es im Schnitt nur noch 1,0 kg je Stunde sein.

Steht also unser Pony „Fritzchen“ 24 Stunden auf einer abgefressenen Pferdeweide (maximal bis 5 cm Graslänge) erhält es bei dieser Fütterung ca. 10 MJ (umsetzbare Energie) zu viel pro Tag. Das heißt ca. 40 % mehr Energie als benötigt, die unser Pony am Ende auch in seinen Fettdepots speichert. Folglich würde unser Pony bei dieser Form der Haltung Tag für Tag dicker werden und die Konsequenz daraus wären mögliche Stoffwechselerkrankungen (EMS, KPU, Diabetes usw.).


Zu viel Eiweiß durch Weidegang

Damit aber leider nicht genug. Neben der Energie enthält Weidegras auch Protein (Eiweiß). Auch hier weiß man ganz genau, wieviel von diesem pflanzlichen Eiweiß am Ende benötigt wird, damit alle Stoffwechselvorgänge störungsfrei funktionieren können. Unser Pony benötigt am Tag ca. 190 g dünndarmverdauliches Eiweiß. Bei 24-stündigem Weidegang aber nimmt unser mittlerweile dick gewordenes Fritzchen ca. 450 g davon auf. Also ca. 260 g zu viel. Nun gut, wir wissen ja mittlerweile, dass das Eiweiß nicht schuld an der Hufrehe unserer Pferde sein soll, sondern dass es die Zuckerverbindungen (Fruktane = Kohlenhydrate) im Weidegras sein sollen. Hier sind allerdings Studien bereits zu der Erkenntnis gekommen, dass auch Fruktan allein am Ende nicht ausreicht, um Hufrehe auszulösen. 

Schlussfolgernd ist es immer die Kombination aus mehreren Faktoren – also zu viel Eiweiß, zu viel Zucker (Kohlenhydrate), eine fütterungsbedingte Stoffwechselentgleisung (Fettleibigkeit, EMS, Darmfäulnis = KPU usw.) und der Bewegungsmangel (Weidegang ersetzt kein Bewegungsprogramm!). Wir wundern uns dann, warum Fritzchen plötzlich kränkelt, hustet und irgendwann einmal chronischen Husten bekommt, sein Fell immer schlechter wird oder sich sogar ein Sommerekzem entwickelt. Dann folgt „plötzlich“ die erste Hufrehe, vielleicht auch später die zweite und jetzt tut er uns leid und wir erlösen ihn. In diesem Beispiel können wir nicht einmal auf die bösen Futtermittelhersteller schimpfen, weil Mischfutter hat er gar keines erhalten. (Das hätte am Ende den Leidensweg nur beschleunigt).

Weidegang für Pferde ab 1,50 m Stockmaß

Theoretisch funktioniert der 24-stündige Weidegang erst für Pferde ab ca. 1,50 m Stockmaß. Stehen die Pferde auf einer ganzjährigen Weide mit nur max. bis 5 cm Graslänge, wäre die tägliche Energiemenge ausgewogen. Die Gefahr es würde zu dick werden bestünde hier rein theoretisch nicht. Vorausgesetzt man fängt nicht noch an, täglich Mischfutter zu füttern. (ACHTUNG AUCH HIER: Bei Gras ab einer Länge von 8 cm endet es bei 24 Stunden Weide genauso wie bei Fritzchen).

Bei sehr kurzem Gras füttern wir aber auch bei unseren 1,50 m Stockmaß-Pferd über 150 g dünndarmverdauliches Eiweiß zu viel (Gras hat eben davon zu viel). Dieses Eiweiß muss vom Stoffwechsel der Pferde entsorgt werden. Der Dickdarm, die Leber und am Ende die Nieren leisten hier also täglich schwere Entgiftungsarbeit, um das überschüssige Eiweiß und dessen Stoffwechselendprodukte los zu werden. Gesund ist das am Ende wiederum auch nicht.

Also wer glaubt Weidegang auf einer abgefressenen Pferdeweide wäre am Ende dennoch gesünder als eine Weide mit höherem Grasbewuchs irrt leider. Kurz gefressenes Gras enthält häufig mehr Fruktan und steht unter Stress. „Gestresstes Gras“ wiederum entwickeln mit den in Symbiose lebenden Schimmelpilzen (Endophyten) hochtoxische Alkaloide, die das Gras normalerweise vor „Fressfeinden“ schützen sollen. Treten diese Gifte vermehrt ins Blut, können auch hier unsere bekannten Stoffwechselentgleisungen, wie Hufrehe, Ekzeme usw. entstehen.

Je größer unsere Pferde werden, desto besser können sie mit Weidegang umgehen. Ein Warmblüter mit einem Stockmaß von 1,75 m fände am Ende auf einer abgefressenen Weide nicht genügend Energie – er würde abnehmen (Gleichwohl der Gehalt an Eiweiß auch hier noch mehr als ausreichend wäre). Somit wird schon mal deutlich, dass eine Herde mit unterschiedlichen Pferderassen und –größen nicht funktioniert. Pferde unter einem Stockmaß von 1,50 m - und hier insbesondere die Robustpferderassen (Nordtyp lt. Bender) - werden selbst auf einer abgefressenen Weide zu dick und leben stets mit der Gefahr einer massiven und nicht selten tödlich endenden Stoffwechselentgleisung. Größere Pferde kommen damit besser zurecht – gleichwohl auch für diese die Toxine aus dem Weidegras bei abgefressenen Weiden problematisch werden können. Stehen Großpferde auf einer Weide mit ca. 10 cm Graslänge – würden auch diese am Ende zu viel Speck ansetzen.


24-stündiger Weidegang für Pferde bleibt ein Gesundheitsrisiko

Als Fazit der oben erwähnten Eckdaten kann aus Sicht der Ernährungsberatung folgendes festgehalten werden:

  • Ponys, Kleinpferde und Robustpferderassen bis zu einem Stockmaß von ca. 1,50 m laufen selbst auf abgefressenen Weiden die Gefahr zu dick zu werden, wenn sie 24 Stunden auf diesen Flächen grasen. Der erhöhte Gehalt an pflanzlichem Eiweiß, Fruktanen und die Toxinen aus dem gestressten Weidegras potenzieren die Wahrscheinlichkeit einer massiven Stoffwechselentgleisung. Pferde mit EMS, ECS, KPU oder einer früheren Hufrehe-Erkrankung sollten nicht einmal versuchsweise solchen Weidebedingungen ausgesetzt werden. Pferde die zusätzlich nicht regelmäßig bewegt werden, unterliegen einem noch viel höheren Risiko.

  • Unser Fritzchen aus dem ersten Beispiel hätte mit 6 Stunden Weidegang, 2 kg Heu und 1 kg Stroh pro Tag – rechnerisch genug gefressen. Die Gefahr einer Hufrehe reduziert sich nahezu auf null. Noch mehr Weidegang (+ ca. 2 h) wäre möglich, wenn wir ihn täglich statt 45 Minuten noch einmal weitere 45 Minuten arbeiten.

  • Erst für Pferde ab einem Stockmaß von 1,50 m wird das Risiko des „zu dick-werdens“ niedriger. Aber auch hier muss beachtet werden, dass die Robustpferderassen gegenüber Warmblütern gefährdeter sind. Trotzdem bleiben die Gefahren eines Eiweißüberschusses und der Toxine auf den Pferdeweiden bestehen (gerade wenn sie wie in unserem Beispiel abgefressen sind). Hat das Gras eine Länge von 8 cm oder mehr, ist selbst für diese Pferde nach 9 Stunden Weidegang eigentlich Schluss!

  • 24 Stunden Weidegang ist daher in den meisten Fällen nicht die Lösung. Das zeichnet sich auch bei unseren Beratungsgesprächen ab. Die Zahl der fettleibigen und damit auch stoffwechselkranken Pferde steigt gerade in diesen Haltungsformen massiv an. Unsere Pferdeweiden verfügen nicht über die Struktur und Energie wie die Weiden in der Wildnis der Vorgänger unseres Hauspferdes. Auch wenn wir diese Haltungsform als möglichst artgerecht gerne bevorzugen würden, bleibt dies am Ende ein für das Pferd häufig tödliches Unterfangen. Noch schwieriger wird es, wenn alle Rassen und Pferdegrößen in einer Herde gehalten werden. Die Bedürfnisse sind zu unterschiedlich und können nur unter großem Engagement und gewissenhaftem Futtermanagement für alle zufriedenstellend gelöst werden (z. B. aufgeteilte Weidegruppen, Fressbremse).

Beachten Sie auch, dass mit hohem Gehalt an Energie und Eiweiß im Futter der Bedarf an Mineralien, Vitaminen und Spurenelementen überproportional ansteigt und mit der Weide alleine nicht mehr abgedeckt werden kann. Hier ist ein Mineralfutter unbedingt zu empfehlen.

Ausnahmen bestätigen die Regel: Sicher gibt es, wie immer, Pferdebesitzer die jetzt genau das Gegenteil bestätigen. Ich bringe ganz gerne das Beispiel unseres Altbundeskanzlers Schmidt. Dieser rauchte 60 Zigaretten am Tag und wurde damit fast 100 Jahre alt. Im Umkehrschluss wäre es also genauso falsch zu behaupten, dass Rauchen die Gesundheit gefährdet - folge ich einiger Argumentationen der 24 h-Weidegang-Befürworter. Es wäre wünschenswert, wenn man sich hier der inhaltlichen Problematik von zugeführter Energie, Endophyten, Fruktanen und Eiweiß widmet, bevor man Kritik am Inhalt dieses Artikels übt. In diesem obigen Artikel wird zwischen Weidebeschaffenheit, Graslänge, Stockmaß und Rassetyp differenziert. Am Ende ist alles sehr theoretisch, da auch Pferde einen sehr individuellen Stoffwechsel haben. Daher wird es immer Pferde geben, die auch mit einer 24 h Weideführung gut zurechtkommen. Ich glaube aber, dass ich als Autor und Ernährungsberater keinen Fehler mache, wenn ich auf die Risiken einer solchen Weideführung hinweise, insbesondere, wenn dies jährlich einige hundert Pferde bestätigen. Ein Diabetes Typ 2, Pseudocushing, KPU aber auch eine Hufrehe entsteht nicht von heute auf morgen, sondern ist meist ein schleichender Prozess, der sich über Jahre langsam hochschaukelt. Es freut mich, wenn es einige Pferde gibt, die mit dieser Form der Haltung gute Erfahrungen gemacht haben. Ich denke aber, dass vielen Pferden damit kein Gefallen getan wird - insbesondere dann, wenn bereits Stoffwechselprobleme vorliegen.


Aktualisiert: 05.2021