Werden unserer Pferde immer dicker?

wohlgenaehrtes PferdFolgende Frage bekommt man als Ernährungsberater immer wieder gestellt: „Findest Du mein Pferd zu dick?“ Diese Frage hat einen leicht rhetorischen Charakter und eine ehrliche Antwort möchte der fragende Pferdebesitzer meist nicht hören. Viele Pferdebesitzer sehen ihre Pferde aus einem Blickwinkel, der für uns Europäer eigentlich typisch ist – wir urteilen aus unserem „Wohlstandsdenken“ heraus. Sichtbare Rippen oder eine leicht eingefallene Taille beim Pferd beunruhigen uns eher. Wir haben es zumindest bei unseren Haustieren lieber, wenn man ihnen auch äußerlich ansieht, dass ihnen an nichts fehlt. Führt diese Fehleinschätzung zwangsläufig auch in eine für Pferde ungesunde Stoffwechselproblematik? Nein - sicher nicht zwingend, dennoch steigt die Zahl der Pferde mit sogenannten Wohlstandskrankheiten oder -symptomen wie EMS, Hufrehe, Pseudocushing oder fütterungsbedingter Allergien Jahr für Jahr drastisch an. Frägt man heute auf Vorträgen die Pferdeleute, könnte der Eindruck entstehen, die Lebensumstände für unsere Pferde hätten sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert. Von der Ferne betrachtet mag dies auch so richtig sein. Die Pferde genießen heute mehr Auslauf, ein artgerechtes Futtermanagement und ein vielfältiges Angebot an Ergänzungsfuttern. Schaut man aber in die Anamneseberichte oder unterhält sich mit einem Tierarzt oder einer Klinik, waren die Probleme noch nie so groß wie heute. Gleichwohl wir heute um die Gefahren der falschen Fütterung, der Auswirkungen von Stress und der Vorteile einer artgerechteren Haltung Bescheid wissen, muss die traurige Feststellung gemacht werden, dass die Pferde heute dicker und damit kränker sind als sie es früher waren.


Was läuft schief, dass Pferde trotzdem zu dick und anschließend krank werden?

Die Stallbetreiber investieren mittlerweile viel Geld in computergesteuerte Futterautomaten und Stallsysteme, Heutoys und -netze in unterschiedlichsten Variationen, die die natürlichen Bedürfnisse der Pferde berücksichtigen sollen. Die Pferdebesitzer sind heute bereit höhere Pensionspreise für (computergesteuerte) Hit- oder Schauerställe sowie Paddock-Paradies-Analgen in Kauf zu nehmen. Auch die Futterindustrie reagiert auf die neuen Trends und stellt getreide- und zuckerfreie sowie strukturreiche Futter für dicke Pferde her. Kräuter sind im Trend und neuzeitliche fragwürdige Konzepte wie Holz-, Mineral- und Futterbars finden Einzug. Trainingsmethoden, die spezielle Equipments und Ausbildungen voraussetzen und nur mittels App auf dem Handy und eigens dafür zertifizierten Trainern sinnvollen Muskelaufbau und Gesundheit garantieren, werden in Anspruch genommen.

Für Fragen zu Krankheiten oder der richtigen Fütterung der Pferde wird nicht nur mehr der Tierarzt oder der erfahrene Therapeut kontaktiert, sondern hier nutzt man neben dem Freundeskreis die Fütterungs- oder Krankheitsportale in Facebook & Co. Hier eine Frage reingestellt können in Echtzeit die „anonymen“ Mitglieder zeitgleich gute Ratschläge erteilen. Über Inhalt und Qualität dieser Aussagen kann ich am Ende oft nur den Kopf schütteln. Eigentlich müsste es doch unseren Pferden mit dem heutigen Wissen und den heutigen Futtern viel besser gehen? Die Realität ist leider eine andere und die Statistiken (leider sehr wenige) lassen auch keine positiven Trends erkennen.


Dickes Pferd - alles nur zum Wohle des eigenen Pferdes?

Wie geht es eigentlich meinem Pferd mit diesen neu gewonnenen Erkenntnissen in Bezug auf Fütterung und Haltung? Ist es noch immer zu dick oder wurde es erst dick? Sicher darf man die ganze Problematik am Ende nicht zu sehr verpauschalisieren. Es gibt genug Pferdebesitzer, die sich solchen Trends nicht willenlos hingeben und den gesunden Menschenverstand gebrauchen. Trotz aller technischen Errungenschaften zur Unterstützung des Futtermanagements und einer sicher über das Internet scheinbar besser informierten Reiterschaft muss ich dennoch feststellen, dass sich die Dinge eher in die falsche Richtung entwickeln. Zweifelsohne liegt ein Teil dieses Anstiegs auch daran, dass man früher Krankheiten wie EMS, KPU oder Pseudocushing nicht kannte. Aber genau dies sind die „Krankheiten“, die ihren Ursprung in der Fütterung haben. Selbst die Hufrehefälle werden nicht weniger – obwohl man eigentlich davon ausgehen müsste, dass der Pferdebesitzer und Stallbetreiber um die Gefahren der Fettleibigkeit bei Pferden (dank Internet, Cavallo & Co) wissen müsste.


Was läuft also schief?

Trotz der Erkenntnis, dass die Fülle an Müsli, Mash, Heuersatz und anderen wohlgemeinten Futtermischungen für unsere Pferde eher ungesund sind, steigen deren Umsätze von Jahr zu Jahr. Die Futtermittelhersteller achten darauf, Zucker und Getreide aus den Mischungen herauszunehmen, trotzdem kämpfen wir noch immer mit zu dicken Pferden. Obwohl wir heute scheinbar alles unternommen haben um dem fütterungsbedingten Anstieg von Krankheiten entgegenzutreten, werden die Tierarztpraxen und Kliniken bundesweit mehr. Ein Beispiel: Die Umsätze der Ergänzungsfutter für Pferde mit Magengeschwüren haben sich in den letzten Jahren fast verdoppelt. Die Zahl der an Cushing erkrankten Pferde war noch nie so hoch wie jetzt und noch nie waren so viele Therapeuten, Heilpraktiker und „Knochenbrecher“ helfend unterwegs als heute. Die eigentlichen Gewinner scheinen also die Futtermittel- und Pharmaindustrie, Labore und Stallanlagenbauer zu sein.


Mein Pferd ist doch nicht zu dick!

„Mein Pferd fühlt sich wohl, es geht ihm gut, denn es kann 24 Stunden auf die Weide oder kann 24 Stunden an das Heu“. Dies ist ein häufiger Satz, welchen man von Pferdebesitzern hört, wenn man sie über die Haltungs- und Futtergewohnheiten befragt. In unseren Augen mag auch dieses Fütterungsmanagement für Pferde erstrebenswert sein, da Pferde eine langsame Aufnahme von Kohlenhydraten und Fetten gewohnt sind. Dennoch ist diese Form des Weide- oder Futtermanagements bei unseren Gehalten an Kohlenhydraten (Zucker, Stärke) sowie Fetten im Weidegras oder Heu gerade für bereits vorbelastete Pferde nicht immer optimal. Häufig auch deshalb nicht optimal, weil Pferde für diese Form des Futterangebots viel zu wenig bewegt werden. Obwohl Pferde dadurch deutlich gesünder aufgestellt sind, kämpfen sie mit ihrem Übergewicht. Das Problem sind die hohen Energie- und Eiweißwerte auf den Weiden und im Pferdeheu und die massive Fehleinschätzung, dass die Bewegung zwischen Wasserstelle, Kraftfutterautomat und Heuraufe am Ende einen nennenswerten Energieverbrauch darstellen könnte.


Dick und krank – der neue Trend „Müsli & Co“ meint es auch nicht besser mit unseren Pferden.

Die heute strukturreichen Müslis sind alles andere als verdauungsfördernd, enthalten häufig mehr verdauliche Energie als Heu und sind im Verhältnis zur Energie viel zu eiweißreich. Googeln Sie einfach mal nach Kräutermüslis für Pferde und sehen Sie sich die Inhaltstoffe dieser Mischungen an. Namen wie: Original Kräuter Müsli, Kräutermüsli, Alm-, Wiesen- oder Bergkräutermüsli sind voll im Trend. Sie sollen den Pferdebesitzern suggerieren, hier handele es sich um eine Mischung mit hohem Kräuteranteil und gesunden Inhaltstoffen. In einem Futter wird z.B. dem Käufer suggeriert: er kaufe „Gesundes aus den Bergen“. Der Kräuteranteil beträgt hier 0,5 % und ich würde bezweifeln, dass selbst dieser Anteil jemals einen Berg gesehen hat. Aber auch die anderen Anbieter haben nur einige wenige Prozent von Kräuter im Müslifutter. Der Geruch nach Kräutern wird meist über Aromaöle bereitgestellt und soll über die geringe Menge hinwegtäuschen (abgesehen davon, dass aromatische Öle nicht unumstritten sind). Rohproteingehalte von über 10 % und Energiegehalte, die häufig fast doppelt so hoch sind als die von Heu, belasten am Ende nicht nur die Entgiftungsorgane, sondern machen die Pferde auch noch dick.

Ähnlich verhält es sich mit den im Trend liegenden getreidefreien Strukturfuttern. Häufig bestehen diese überwiegend aus Heu-, Stroh- oder Luzernefasern. Geringste Anteile an Sonnenblumenkerne, Kornblumen usw. suggerieren eine natürliche Hochwertigkeit. Beigemischte Pflanzenöle (leider nicht immer hochwertige Öle um insbesondere den Staub zu binden) erhöhen den Anteil an verdaulicher Energie. In der Regel 1,5-mal höher als die gleiche Menge an Heu und meist nahezu genauso hoch wie die selbe Menge Hafer. Eine eher ungeeignete Methode dicke Pferde vom heute verschriehenen Getreide zu verbannen. Ein niedriger Stärke-, Fruktan- und Zuckergehalt (meist leider nicht angegeben und oft noch höher als im Heu) suggeriert geschickt ein alternatives Futter für zu dicke Pferde.


Der Nahrungsüberfluss in der Heuraufe und auf der Pferdeweide macht Pferde ebenfalls dick.

Wer möchte nicht, dass sich das Pferd wohl fühlt und liebevoll vor sich hin grummelt, wenn der Besitzer mit dem Eimer voll Mischfutter in die Stallgasse kommt. Über die Geräusche, die Tiere beim Fressen machen, definieren wir Menschen gerne auch ihr Wohlbefinden. Wir möchten niemanden einen Vorsatz unterstellen. Wir füttern alle aus dem Wunsch heraus, nur das Beste für unser Pferd zu wollen. Es werden - wie bereits erwähnt - Fütterungspraktiken und Modelle entwickelt, um die Fresszeiten zu erhöhen und wir stellen Pferdeweiden ganztags und ganzjährig zur Verfügung. In unseren Köpfen scheint dies einer artgerechten Pferdehaltung am nächsten zu kommen. Für viele Pferde ist diese Form der Nahrungsaufnahme zwar stressfreier und auf jeden Fall artgerechter, dennoch lösen wir damit nicht das Problem. Unsere Weiden und unser Heu (neben der ganzen getreidefreien Mischfutterpallette) enthalten zu viel Energie und Eiweiß um es insbesondere dicken Pferden 24 Stunden zur Verfügung zu stellen. Natürlich gibt es heute Heunetze oder Fressbremsen, aber ist das denn artgerecht? Die Antwort: Beobachten Sie einfach mal Ihr Pferd, wenn es einen Berg Heu (2 bis 3 kg auf dem Boden liegend) ohne Herdendruck aber mit gleichzeitig freien Zugang zum Wasser und einer Liegemöglichkeit frisst. Auf dieses Thema gehe ich in Kürze in einem gesonderten Artikel erneut ein – probieren Sie es einmal selbst aus, die Erfahrung ist es wert.

Mittlerweile führt dieser gut gemeinte Nahrungsüberfluss nicht nur bei den Menschen in den Industrieländern, sondern auch bei deren Haustieren - einschließlich deren Pferde - zielsicher zu Übergewicht. Wohlstand und Krankheit liegen daher auch bei den Pferden in der heutigen Zeit immer dichter beieinander.

Dicke Pferde leiden!

Die bei Pferden durch Übergewicht bedingten Schäden an Gelenken und Wirbeln sind nur eines der Krankheitsbilder, die das Überangebot an Futter verursacht.

Durch Fettleibigkeit bedingte Herz- und Kreislaufschwächen sowie verminderte Leistungsbereitschaft sind nur das geringere Übel am Ende der „wohlstandsbedingten“ Krankheitskette. Der rasante Anstieg an den durch falsches Futtermanagement herbeigeführten zellzerstörenden Stoffwechselkrankheiten wie der Hufrehe, des Equinen Metabolischen Syndroms (EMS), der Kryptopyrrolurie (KPU) oder teilweise des Equinen Cushing Syndroms führte dazu, dass sich die Wissenschaft in den letzten Jahren ganz massiv damit beschäftigten musste. Mittlerweile weiß man, dass der Verursacher - dieser leider auch immer wieder tödlich endenden Krankheiten - der Pferdehalter/Stallbetreiber selbst ist, der aus falsch verstandener Liebe seinem Pferd zu viel des Guten zumutet.

„Wohlgenährt ins Verderben?“ fragt die Autorin Heike Bussang provokant in der Einleitung ihres sehr zu empfehlenden Buches über die Wohlstandskrankheiten bei Pferden („Wohlstandskrankheiten unserer Pferde“; Heike Bussang, Birgit van Damsen; Müller Rüschlikon Verlag).

Ich meine, sie hat Recht. Wissenschaftlich ist es unumstritten, dass meistens vor dem EMS, dem „Pseudo“-Cushing oder der Hufrehe eine generelle Fettleibigkeit (Adipositas) stand. Die Verantwortung für das Pferd trägt in erster Linie der Besitzer und der Stallbetreiber, dem man das Pferd überlässt. Erschreckend aber ist, wie viele Stallbetreiber wenig bis gar keine Kenntnis über das Weide- und Futtermanagement in Abhängigkeit von der Pferderasse und der Bewegung des Pferdes haben. Zusätzlich kommt der häufig maßlos unterschätzte Anteil an Energie, Zucker, Stärke und Protein dazu, den wir unseren Pferden mit unseren gut gemeinten Fütterungspraxen zumuten. Gerade im Hinblick auf die gesicherte Erkenntnis, dass die Überfütterung, die Haltung und das zu gut gemeinte Weidemanagement und die mangelhafte Bewegung, wie Heike Bussang so erschütternd feststellt, in das Verderben führen.


Dicke Pferde eine Sackgasse?

Wohlstandskrankheiten bei Pferden kann man weitestgehend vorbeugen. Wer also die Einflüsse von kohlenhydratreichen Futtermitteln und Grasarten auf den Stoffwechsel des Pferdes kennt und sich Kenntnisse in der Energiebewertung seines Pferdes aneignet, spart nicht nur Futter- und Tierarztkosten, sondern mindert auch das Risiko der für die Pferde oft sehr schmerzhaften Wohlstandskrankheiten. Wir sollten Pferde wieder mehr bewegen bzw. trainieren. Die Pferdeweide oder der Offenstall mag die artgerechtere Haltung für das Pferd sein. Dem eigentlichen natürlichen Bewegungs- oder Freiheitsdrang kommt man mit solchen Konzepten aber auch nicht vollständig nach.

Nicht in jedem Stall kann jedes Pferd individuell betreut bzw. gefüttert werden. Auch mein Pferd wäre mir um einige Kilos leichter deutlich lieber. Aber auch mir ist klar, dass ich weder die Probleme wegfüttern kann, noch ein Wegsperren die richtige Lösung wäre. Einzig regelmäßige und ausgiebige Bewegung und der Verzicht auf unnötige Mischfutter und die ständige Kontrolle und Gespräche mit dem Stallbetreiber können die Gefahr einer problematischen Entgleisung des Stoffwechsels eindämmen. Wer auf 24 h Heu oder Weide nicht verzichten möchte, hat dennoch eine Chance: Eine ein- bis zweimal am Tag ausgiebige Bewegung (nicht Spazieren gehen) saugt Energie und senkt den Blutzuckerspiegel. Nur ohne wird es mit einigen wenigen Ausnahmen nicht funktionieren.

Ein tägliches intensives Training (z.B.: ein Ausritt mit 30 Minuten fleißigem Schritt, 10 Minuten langsamen und 10 Minuten schnellerem Trab, sowie weiteren 10 Minuten Galopp verbrauchen immerhin die Energie von bis zu 4 kg Heu/Tag (ca. 25 MJ; Pferd 600 kg LM;  lt. CM 2014)). Tu ich dies, habe ich mein Pferd zzgl. Vorbereitung und Nachbereitung ca. 2,5 Stunden vom Fressen abgehalten und zudem 3 bis 4 Stunden zusätzliche Fresszeit gewonnen. Wer also sein Pferd täglich über eine Stunde ordentlich trainiert, gewinnt 6 Stunden Fresszeit, die sich am Ende in der Energiebilanz neutralisieren. Zusammenfassend ist dies die effizienteste und gesündeste Methode um dicke Pferde wieder schlank zu bekommen oder insbesondere leichtfuttrige Pferdetypen in den Genuss einer 24 stündigen Heufütterung oder eines 12 stündigen Weidegangs zu bringen – ohne das Risiko einer Stoffwechselentgleisung einzugehen.

"Die Dinge könnten häufig so einfach sein."